Bethlehem und Golgatha

Friedrich Rückert (1788 - 1866)

O Christus, der Du in der Krippe
Ein Kind geboren wolltest sein
Und, leidend Pein am Kreuzgerippe,
Von uns genommen hast die Pein!
Die Krippe dünkt dem Stolzen niedrig,
Es ist das Kreuz dem Hochmut widrig;
Du aber bist der Demut nah
In Bethlehem und Golgatha.

Die Kön’ge kamen anzubeten
Den Hirtenstern, das Opferlamm,
Und Völker haben angetreten
Die Pilgerfahrt zum Kreuzesstamm.
Es ging in Kampfesungewitter
Die Welt, doch nicht das Kreuz in Splitter,
Als Ost und West sich kämpfen sah
Um Bethlehem und Golgatha.

O lasst uns nicht mit Lanzenknechten,
Lasst mit dem Geist und ziehn ins Feld,
Lasst uns das heil’ge Land erfechten,
Wie Christus sich erfocht die Welt!
Lichtstrahlen lasst nach allen Seiten
Hinaus als wie Apostel schreiten,
Dass alle Welt ihr Licht empfah’
Aus Bethlehem und Golgatha.

Mit Pilgerstab und Muschelhute
Nach Osten zog ich weit hinaus,
Die Botschaft bring’ ich euch, die gute,
Von meiner Pilgerfahrt nach Haus:
O zieht nicht aus mit Hut und Stabe
Nach Gottes Wieg’ und Gottes Grabe,
Kehrt ein in euch und findet da
Sein Bethlehem und Golgatha.

O Herz, was hilft es, dass du kniest
An seiner Wieg’ in fremdem Land?
Was hilft es, dass du staunend siehest
Das Grab, aus dem Er längst erstand?
Dass er in dir geboren werde,
Und dass du sterbest dieser Erde
Und lebest ihm, nur dieses ja
Ist Bethlehem und Golgatha.

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