Am Weihnachtsabend

Albrecht Graf Wickenburg (1839-1911)

Hörst du den Ruf der Glocke,
Mein holdes Töchterlein?
Nun juble und frohlocke,
Nun sollst du selig sein!
Nun sollen deine Wangen
Vor lauter Freude glühn,
Und Funken vor Verlangen
Die dunklen Augen sprühn!

Die bunten Kerzen flimmern
Am grünen Weihnachtsbaum,
Das ist ein Glitzern, Schimmern,
Wie holder Märchentraum!
Lass deine Blicke schweifen
Zum Tisch, von Gaben schwer,
Du darfst nach allem greifen,
Was immer dein Begehr!

Wie liegt in bunten Gruppen
Das Spielzeug hier gereiht,
Wie fesseln dich die Puppen
In schönem Seidenkleid!
Dir sind sie ja Geschöpfe
Von echtem Fleisch und Blut,
Du hauchst in Puppenköpfe
Der eignen Seelen Glut!

Doch dir gefällt am besten
Des Baumes bunte Zier,
Wie’s flüstert in den Ästen,
Von Rauschgold und Papier.
Die goldenen Nüsse funkeln
Wie helles Sternenlicht,
Das freundlich aus dem Dunkeln
Der Fichtennadeln bricht.

Zwar freut dich die Bescherung,
Doch deine Augen sind
Gerichtet in Verklärung
Nach jenem Jesuskind!
Das grüßt aus grünen Zweigen
Und nickt dir traulich zu,
Als wollt’s heruntersteigen
Und fröhlich sein, wie du!

O träum’ ihn ohne Grenzen,
Der Kindheit goldnen Traum!
Viel tausend Lichter glänzen
An deinem Lebensbaum;
Und ob, wie Weihnachtskerzen,
Sie schnell erlöschen auch, -
Das Licht im tiefen Herzen
Bewahr von jedem Hauch!

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